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Dr. jur. Arnold von Bosse:
Bildungsprogramm

Was ist in der Schulpolitik Mecklenburg-Vorpommerns für die Jahre 2006/2007 zu fordern, was kann besser gemacht werden?

Zunächst mache ich Sie auf meinen Fachaufsatz in der Zeitschrift "Alternative Kommunalpolitik" (AKP), Heft Juli/Aug.2006 aufmerksam: "Schulentwicklungsplanung bei sinkenden Schülerzahlen: Weniger Schüler, bessere Schulen" Hier stelle ich u.a. dar, dass die Entwicklung zu großen Schulzentren geht und damit die Gemeinschaftsschule näher rückt. Für die kleinen Grundschulen könnte die Rettung u.a. im jahrgangsübergreifenden Unterricht liegen.

 

Der folgende Text nun stellt die Grundlage für den Bildungsteil (Schule) im Landtagswahlprogramm 2006 (M-V) von Bündnis 90/Die Grünen dar. Autor: A.v.Bosse

Obwohl das Wissen und die Fähigkeiten der in M-V. lebenden Menschen die wichtigste Ressource unseres Bundeslandes sein sollten, ist die schulische Bildung nicht gerade das Aushängeschild des Landes. Was kann verbessert werden?

  • Notwendig ist ein grundsätzlicher Wechsel vom Selektionsprinzip zum Förderprinzip. Zu frühe Notengebung, Sitzenbleiben und die Dreigliedrigkeit des Schulsystems führen zu Demotivation besonders bei Kindern aus den sog. bildungsfernen Schichten.

  • Die Bildungspotenziale müssen bereits in den Kitas und in der Vorschule besser ausgeschöpft werden. Ein zweites Vorschuljahr ist einzuführen. Das Erreichen der im Rahmenplan Vorschule enthaltenen Ziele muss verbindlicher geregelt und ggf. evaluiert werden. Die Chancenungleichheit kann dadurch gemindert werden, dass die Kitas neben der Betreuung verstärkt einen Bildungsauftrag wahrnehmen. Zur besseren konzeptionellen Verknüpfung der Vorschule mit der Grundschule ist die Zuständigkeit im Bildungsministerium zu bündeln.

  • Für die Grundschule sind kleinere Klassen (nicht mehr als 20) und kurze Schulwege zu fordern. Die Schließung von Schulen aufgrund der Schrumpfungsprozesse im ländlichen Raum ist so weit wie möglich zu stoppen. Dies kann auch durch eine größere Offenheit zu anderen pädagogischen Konzepten erreicht werden: Z.B. kann verstärkt der jahrgangsübergreifende Unterricht nach reformpädagogischen Erkenntnissen[1] eingeführt werden. Die erste Fremdsprache muss verpflichtend im 1. Schuljahr eingeführt werden (Untersuchungen haben ergeben, dass dies auch den positiven Nebeneffekt haben wird, dass sich damit gleichzeitig die Deutsch-Kompetenz verbessert). Die zweite Fremdsprache muss bereits im 5. Schuljahr beginnen. In Vorpommern soll die Vision der deutsch-polnischen Schulen nach dem Vorbild der deutsch-dänischen Schulen konkreter werden.

  • Das längere gemeinsame Lernen in der sog. Orientierungsstufe ab Schuljahr 2006 (5. und 6. Klasse) ist zu begrüßen. Es ist nämlich erheblich verfrüht, Kindern bereits mit 10 Jahren den Laufbahnweg Gymnasieum oder Regionalschule vorzugeben. Spätentwickler und Begabungen von Kindern aus benachteiligten Schichten fallen damit unter den Tisch. Dabei beinhaltet individuelles Fördern, dass die schwachen von den starken Schülern lernen und dennoch die begabten Schüler nicht zu kurz kommen. Die sog. Orientierungsstufe (besser ist der Begriff „Gemeinschaftsschule") darf jedoch nicht im Stadium einer bloßen Strukturreform verharren. Sie darf auch nicht eine Schule auf Probe sein. Sondern sie muss auch tatsächlich individuell fördern[2]. Kaputtsparen gleich von Anfang an würde das längere gemeinsame Lernen diskreditieren.

  • Im übrigen müssen die Klassen 7 und 8 perspektivisch hinzukommen („8 klug macht!"). Indem das Begabungspotenzial der heutigen Regionalschulen besser ausgenutzt wird (dies ist eine zentrale politische Forderung), kann auch eine höhere Abiturienten-Quote erreicht werden. Diese Quote ist in M-V noch zu niedrig. Das Gymnasium ab Klasse 9 behält dabei weiter seinen Wert. Übertriebener Lobbyismus für die Gymnasien ist im übrigen unangebracht, denn die Gymnasien werden heute überdurchschnittlich stark ausgestattet.

  • Allerdings sind noch erhebliche Umsetzungsprobleme für 8 gemeinsame Jahre zu meistern, z.B. die Frage, in welchen Räumlichkeiten dies stattfindet: Das Schulgesetz M-V geht hier einen falschen Weg. Denn das längere gemeinsame Lernen ab der 5. Klasse sollte auch an Gymnasien stattfinden können, wenn dies an Regionalschulen oder Grundschulen zu schwierig umzusetzen ist. Die Entscheidung hierüber sollte der kommunalen Ebene überlassen werden. Dabei ist allerdings sehr wichtig: Wenn Gymnasien gewählt werden, muss auch dort gewährleistet sein, dass die "Durchmischung" (Begabte und weniger Begabte) gewährleistet ist.

  • Die Ganztagsschule ist zu stärken. Mit ihr verbindet sich auch ein kompensatorischer Ansatz, da Kinder aus sozial schwachen Familien gerade mit dieser Betreuung eine größere Förderung erfahren. Die Verzahnung des Vormittags-Unterrichts mit der Nachmittags-Zeit, z.B. bei Projekten mit Hilfe von Handwerksbetrieben, ist grundsätzlich nur in der gebundenen Ganztagsschule möglich. Gebunden deshalb, weil sie die Nachmittagsteilnahme bis zur Pflicht macht. Die Schule muss sich dabei in Richtung eines sozial-kulturellen Zentrums entwickeln.

  • Die Autonomie von Schule ist durchzusetzen: Budgetierung und eigene pädagogische Gestaltungsoptionen, Einführung von Qualitätsentwicklung und Evaluation. Außerdem darf die Wahl der Schule nicht starr an den Wohnsitz gekoppelt werden. Mehr Wettbewerb bedeutet aber auch, dass die Rahmenbedingungen der einzelnen Schulen nicht zu sehr verschieden sein dürfen. Die Schulaufsicht muss hier unterstützen.

  • Die ErzieherInnen- und LehrerInnenbildung muss verbessert und intensiviert werden. Dies fängt mit dem zu fordernden größeren Praxisbezug an den Hochschulen an. Sodann ist es wünschenswert, dass die Fortbildung mit dem Ziel, integrativen Unterricht führen zu können, erheblich verstärkt wird. Der Lehrer ist im übrigen nicht nur Vermittler von Wissen, sondern auch Moderator und Erzieher.

  • Inhaltlich muss in den entsprechenden Fächern das Demokratie-Bewusstsein gestärkt werden. Die politische Bildung und philosophische Fragestellungen müssen mehr Beachtung finden. Der Umweltgedanke und der Umgang mit Tieren sind vertieft zu behandeln.

  • Andere Formen des Unterrichts müssen ausgebaut werden. Hierzu gehört z.B. der Projektunterricht, die Durchbrechung des ¾-Std.-Takt-Unterrichtes, die bessere Umsetzung und Anwendung des Computer- und Internet-gestützten Unterrichts, die gänzliche oder zumindest teilweise Auflösung des Frontalunterrichts und die Hereinnahme reformpädagogischer Anregungen.

Anmerkungen:

  1. Siehe hierzu näher die Kurzabhandlung "Der kleine Jenaplan" von Peter Petersen (über Buchhandel).
  2. Als Vorbild kann z.B. die Neue Max-Brauer-Schule in Hamburg dienen (mit dem sog. Schweizer Kompetenzentwicklungsmodell).
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